12 YEARS AFTER
Screening of the Film and discussion with Iris Minich & Chto Delat Collective
Wir möchten unsere Beziehung zu Hamburg widerspiegeln, indem wir auf die Zeit zurückblicken, als das Kollektiv Chto Delat 2013 als Otto-Runge-Stipendiaten in der Residenz war, und auf diese symbolische Rückkehr in das Haus in der Admiralitätsstraße. Dies war unser letztes Werk, das in einer Art Normalität entstanden ist, bevor alles zusammenbrach. Also, bitte kommen Sie vorbei! Es ist auch unsere letzte öffentliche Veranstaltung in unserer Residenz im FleetStreet Theater.
Die Performance wurde als fiktive TV-Talkshow konzipiert, live vor Publikum aufgeführt und mit fünf Kameras gefilmt. Moderiert von Iris Minich, beginnt die Show mit einem Gerücht: Könnte Chto Delat als Otto-Runge-Stipendiaten tatsächlich Wunder vollbringen? Oder war alles nur ein Trick?
Durch inszenierte Happenings auf den Straßen Hamburgs und in der Kunsthalle verschmilzt die Performance Realität und Fiktion und lotet die Grenzen zwischen dem Wunderbaren und dem Falschem aus. In dieser Untersuchung tauchen Themen des romantischen Erhabenen in der Kunst auf, dargestellt durch das Symbol des Fisches – stumm, untergetaucht, schwer zu interpretieren. Wie der Fisch in seinem Wassermedium lebt die Kunst heute in der Umgebung der Medien, gefangen zwischen Profanierung und Sublimierung.
Das Stück und der Film untersuchen diesen Konflikt, indem sie die Dialektik des Künstlichen und des Realen in der zeitgenössischen Kunst thematisieren.
Moderatorin: Iris Minich
Darsteller: Vedrana Madžar, Alexey Markin, Alicia Agustín, Tatiana Baskakova, Frans Jacobi, Genja Loginova, Antje Prust, Corina Lucia Apostol und andere.
Besondere Auftritte von: Nina Gasteva, Artyom Magun, Alexander Skidan, Olga „Tsaplya“ Egorova, Dmitry Vilensky.
17. August, 16 Uhr, HERE + NOW + EVERYONE, Sievekingplatz 2
Wenn Wurzeln sich bewegen, tragen sie die Erinnerung an einen Boden in einen anderen. In unserer Zeit ist diese Bewegung nicht nur botanischer, sondern auch menschlicher, politischer und planetarischer Natur. Migration – sei es von Menschen, Pflanzen oder Ideen – zwingt zu einem radikalen Umdenken in Bezug auf Zugehörigkeit und die Bedingungen für das Leben selbst.
Here + Now + Everyone ist eine gemeinschaftliche künstlerische und bürgerliche Performance, die sich der Reaktivierung von Hier und Jetzt widmet, einem Denkmal von Gloria Friedmann (1997) zur Erinnerung an die Vielfalt der Hamburger Bevölkerung und die Opfer des nationalsozialistischen Justizsystems. Neunzig Eisenstelen tragen Töpfe, in denen einst Rosen neben Brennnesseln, Heilkräuter neben giftigen Pflanzen und wandernde Arten neben einheimischen Arten wuchsen – eine lebendige Allegorie des Zusammenlebens. Im Laufe der Jahre hat die einheitliche Bepflanzung diese Vielfalt ausgelöscht, was widerspiegelt, wie soziale und kulturelle Unterschiede oft durch institutionelle Vernachlässigung oder politische Ängste nivelliert werden. Der Verlust der Vielfalt ist hier nicht unvermeidlich – er ist ein Symptom des Vergessens. Unsere Intervention zielt darauf ab, Wahrnehmung und Möglichkeit wieder miteinander zu verbinden, damit die Wurzeln wieder wachsen können.
In Zusammenarbeit mit den Postmigrantengemeinschaften Hamburgs reaktiviert Chto Delat International das Denkmal durch eine zeremonielle, partizipative Performance, die folgende Fragen aufwirft: Wer darf Wurzeln schlagen? Wer entscheidet, was zusammenwachsen darf? Wie könnte das Gesetz gut und gerecht sein? Ist es unser Denkmal? Brauchen wir überhaupt Denkmäler?
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Participants: Chto Delat International: Tsaplya Olga Egorova (concept and directing), Oxana Timofeeva (philosopher and performer), Nikolay Oleynikov (artist and performer), Dmitry Vilensky (concept, production and performing)
In collaboration with: Vera Shchelkina (Choreography and performing), Maria Markina (Music directing and performing), Musikong Bumbong orchester
Performer: David Osaodion Odiase, Sofia Greben, Asia Vilenskaya, Bahar Ensafi, Mariya Gyurova, Egana Dzhabbarova, Taisiia Sapurina
Thanks to: Genia loginova, Nikita Kotlyar
12. August, 19 Uhr, Seminar & Lecture mit Oxana Timofeeva
How to love a homeland (in exile)?
Was bedeutet es, sein Heimatland zu lieben, wenn man gezwungen wurde, es zu verlassen? Dieser Vortrag untersucht die paradoxen affektiven und politischen Bindungen, die über Grenzen, Entwurzelungen und Brüche hinweg bestehen bleiben. Vor dem Hintergrund von Einwanderung und Krieg untersuche ich, wie die Liebe zum Heimatland nicht als Patriotismus, sondern als diffuse und sinnliche Beziehung überleben kann. Durch die Erfahrungen affektiver Geografie wird das Exil zu einem Ort, an dem Zugehörigkeit jenseits der Logik von Identität, Eigentum oder Territorium neu gedacht werden kann.
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Oxana Timofeeva ist Philosophin, wurde 1978 in Sibirien geboren und lebt heute in Berlin. Sie ist Mitglied des Künstlerkollektivs „Chto Delat“ und Senior Associate am Institute of Global Reconstitution (IGRec, Berlin). Zu ihren Büchern, die auf Englisch veröffentlicht und in viele Sprachen übersetzt wurden, gehören Freud’s Beasty Boys: Sex, Violence, and Masculinity (Polity 2025), Solar Politics (Polity 2022), How to Love a Homeland (Kayfa ta 2020) und History of Animals (Bloomsbury 2018). Sie hat auch Bücher auf Russisch veröffentlicht, darunter This is not That (2022) und Introduction to the Erotic Philosophy of Georges Bataille (2009).
Der Vortrag und das Seminar basieren auf der Veröffentlichung „How to love a homeland“
8. August, 19 Uhr, BEING FOREIGN IN GERMANY, ASSEMBLY
In unserem offenen Seminar, das als Versammlung und forumähnliches Rollenspiel aufgebaut ist, laden wir Sie ein, gemeinsam mit uns die zentrale Frage zu erörtern und zu diskutieren:
Was bedeutet es heute, in Deutschland „fremd“ zu sein?
Wir heißen alle herzlich willkommen – unabhängig von Herkunft, Staatsangehörigkeit, Sprache, Rechtsstatus oder Migrationserfahrung –, an dieser gemeinsamen Reflexion teilzunehmen. Gemeinsam wollen wir:
• reale Geschichten und gelebte Erfahrungen von Ausländersein in Deutschland untersuchen – von alltäglicher Diskriminierung bis hin zu bürokratischer Gewalt;
• Fragen zu Identität, Recht auf Stadt, Sprache, Zugehörigkeit und körperlicher Sichtbarkeit aufwerfen;
• systemische Mechanismen der Ausgrenzung und Kontrolle aufzudecken – von Einwanderungsgesetzen bis hin zu polizeilichem Profiling;
• Möglichkeiten für Solidarität, Widerstand und politische Vorstellungskraft zu entwickeln.
Beispiele für Diskussionsthemen können sein:
• Das Gefühl, „fremd“ zu sein, und wie es entsteht
• Migrationsstatus und seine Folgen (Asyl, Duldung, Aufenthaltsgenehmigungen, Staatsbürgerschaft)
• Sprache als Barriere und Waffe
• Institutioneller Rassismus und alltägliche Diskriminierung
• Herausforderungen beim Zugang zu Wohnraum, Bildung und Beschäftigung
• Erfahrungen von Unsichtbarkeit und Hypervisibilität
• Was bedeutet „Integration” – und wer braucht sie wirklich?
• Alternative Formen von Zugehörigkeit, Kollektivität und Widerstand
01. August, 19 Uhr
Seminar mit Dmitry Vilensky
Dieses Seminar untersucht, wie monumentale Strukturen als Reaktion auf sich wandelnde politische, philosophische und soziale Kontexte neu gedacht werden. Gemeinsam werden wir die zeitgenössische Relevanz von Denkmälern hinterfragen und unsere Beziehung zu den toxischen und erhabenen Symbolen der Vergangenheit untersuchen.
• Brauchen wir heute noch Denkmäler?
• Welche Formen könnten neue Denkmäler in unserer Zeit annehmen?
• Wie sollten wir mit den bestehenden umgehen – durch Transformation, Neuinterpretation oder sogar Löschung?
Im Laufe des Seminars werden wir eine Reihe aktueller und historischer Projekte analysieren, die sich mit der Politik der Erinnerung befassen, wobei wir uns auf künstlerische und aktivistische Interventionen in öffentlichen Gedenkräumen konzentrieren. Auf diese Weise werden wir darüber nachdenken, wie Denkmäler zurückgewonnen, hinterfragt oder neu erfunden werden können, um neuen kollektiven Narrativen zu dienen.
Dmitry Vilensky (geb. 1964 in Leningrad, lebt in Hamburg) ist Künstler, Pädagoge und Kulturökologe ohne Kunststudium. Er schafft Situationen und Beziehungen. Niemand weiß, was er gerade macht: Vielleicht redigiert er eine neue Ausgabe der Zeitung von Chto Delat, schneidet einen Film, spricht mit den Teilnehmern der School of Emergencies, baut ein Bühnenbild für ein neues Theaterstück (oder eine Installation) oder bereitet eine weitere Mad Tea Party vor… Höchstwahrscheinlich macht er all das und Dutzende andere Dinge gleichzeitig, umgeben von verschiedenen kameradschaftlichen Zusammenschlüssen von Körpern und Köpfen im Chto Delat Emergency Project Room in Berlin, bei Zoom und an vielen anderen Orten…
Chto Delat International wurde 2003 in Russland gegründet, stellt weltweit vom Mudam Luxemburg bis zum New Yorker New Museum aus, und lebt seit 2023 im Exil in Hamburg. Das Kollektiv verbindet bildende Kunst, Philosophie und Literatur und bezeichnet sich selbst als »künstlerisches Tool zur Bekämpfung von Hass«. Im Rahmen einer Residenz im Fleetstreet Theater setzt sich Chto Delat mit der Installation »Hier und Jetzt« aus dem Jahr 1997 am Sievekingplatz auseinander. Die Künstlerin Gloria Friedman versammelte hier 90 verschiedene Pflanzen, um an die Opfer nationalsozialistischer Gräueltaten durch Behörden zu erinnern. Ein Mahnmal, das in Zeiten der Infragestellung von demokratischen Grundprinzipien und einer gesichert rechtsextremen Partei im Deutschen Bundestag aktueller ist denn je. Chto Delat erweitern Friedmans Arbeit in einer ortsspezifischen Performance, die gemeinsam mit (post-)migrantischen Personen aus Hamburg entsteht: Here + Now + Everyone ist sowohl eine zeremonielle Intervention als auch ein politisches Statement, das unsere gegenwärtige Migrationspolitik und ihre humanitären Auswirkungen reflektiert, sowie ein gemeinschaftsbildendes Ritual, das die Kernwerte des Denkmals durch partizipatorische Praxis zurückerobert.
Chto Delat International wird vertreten durch die Künstler*innen Tsaplya Olga Egorova, Dmitry Vilensky, Nikolay Oleynikov, die Choreografin Vera Shchelkina und Musikdirektorin Maria Markina.
Das Projekt mit dem Titel „Hier – Jetzt – Alle“ (oder „Als die Wurzeln sich bewegten“) wurde auf Einladung der Hamburger Stadtkuratorin Joanna Warsza entwickelt und ist Teil des umfassenderen Programms „Counter-Monuments“:
Projekt von Kampnagel Hamburg auf Einladung der Stadtkuratorin Hamburg.